PROJEKT HYPERSOIL | Pfad: https://hypersoil.uni-muenster.de/1/02/42.htm |
Modul: Boden - Werkstatt | |
Kapitel: Regenwurm-Werkstatt | |
Seitentitel: Wahrnehmungsleistungen & Intelligenz |
Regenwürmer besitzen keine speziell ausgebildeten Sinnesorgane, können aber über Nervenenden und verschiedene Sinneszellen unterschiedliche Reize wahrnehmen und darauf reagieren. ● Hell-Dunkel-Wahrnehmung Über Lichtsinneszellen sind sie zur Hell-Dunkel-Wahrnehmung fähig. Ihre nachgewiesene Lichtempfindlichkeit ist aber für die verschiedenen Spektralbereiche unterschiedlich ausgeprägt. So wird langwelliges rotes Licht nicht wahrgenommen und löst keinerlei Fluchtreflexe aus. Bei künstlichem Rotlicht verhalten sich die Regenwürmer wie in Dunkelheit (vgl. GRAFF 1983, S. 86 und HANSCHE 1988, S. 22). Im violetten bis grünen Bereich des Spektrums dagegen zeigen sie eine ausgeprägte Reizbarkeit. Besonders lichtempfindlich reagieren sie auf kurzwelliges blaues Licht und UV-Licht, dem sie ausweichen. Aber nicht nur die Farbe des Lichtes, sondern auch die Intensität der Einstrahlung sowie die körperliche Verfassung der Regenwürmer spielen eine Rolle. So ist z.B. während der Nahrungssuche und Fortpflanzungsphase die Lichtempfindlichkeit deutlich herabgesetzt. Das schwache Licht des Mondes oder einer Laterne kann die Regenwürmer sogar aus der Erde locken (s. FÜLLER 1954, S. 24). ● Wahrnehmung von Geräuschen Zur Geräuschwahrnehmung scheinen Regenwürmer nicht fähig, da sie keinen Gehörsinn haben. Außerhalb ihrer Röhren zeigen sie keinerlei Reaktion auf verschiedene Geräuschqualitäten und –stärken (vgl. DARWIN 1983, S. 15 und FÜLLER 1954, S. 24/25). ● Wahrnehmung von Erschütterungen Erschütterungen können Regenwürmer durch Drucksinneszellen wahrnehmen (s. Sinnesorgane). Niedrig frequente Schwingungen im Infraschallbereich versetzen die meisten Regenwurmarten oft so sehr in Erregung, dass sie ihre Wohnröhren und Gänge verlassen und an die Oberfläche kommen. Diese Verhaltensweise wird als instinktmäßiges Fluchtverhalten vor Fressfeinden und Verfolgungen, z.B. durch grabende Maulwürfe, erklärt. Angler nutzen dieses Fluchtverhalten, um Köderwürmer zu fangen, indem sie einen Stock in den Boden stoßen und am freien Ende kräftig rütteln (s. GRAFF 1983, S. 26). Ebenso bekannt ist „… der alte Gärtnertrick, durch Beklopfen des Bodens mit einem Spaten, die Regenwürmer an die Oberfläche zu locken“ (Füller 1954, S. 23). Beobachtet wurde auch, dass Regenwürmer an Fernverkehrsstraßen, die mit schweren Fahrzeugen befahren werden, bei starkem Verkehrsaufkommen aus dem Boden heraus kriechen und sich dann dort scharenweise Krähen einstellen, um diese zu fressen (s. GRAFF 1983, S. 26). ● Wahrnehmung von Berührungsreizen Regenwürmer reagieren auf Berührungsreize außerordentlich empfindlich. Als Tastsinnesorgane dienen vor allem der Kopflappen und die Borsten. Ihr ausgeprägter Tast- und Gravitationssinn ermöglicht ihnen eine hervorragende Orientierung im Erdreich (s. RUBZ 2001, S. 19). ● Wahrnehmung von chemischen Reizen Regenwürmer besitzen auf der Körperoberfläche und in der Mundhöhle Sinneszellen, mit denen sie chemische Reize wahrnehmen können (s. Sinnesorgane, vgl. GRAFF 1983, S. 19). Dadurch kann z.B. die Fressbarkeit eines Blattes beurteilt werden. Vor allen Dingen die Geschmacksqualitäten „süß“ und „bitter“ können unterschieden werden (s. MEINHARDT 1986, S. 19). ● Intelligenz Bereits im 19. Jahrhundert hat sich Charles Darwin schon mit der Frage nach der Intelligenz von Regenwürmern beschäftigt, ohne zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen (s. DARWIN 1983, S. 36 ff.). Ihn „… faszinierte die Fähigkeit des Regenwurmes, Blätter verschiedener Art und Gestalt in ihre Röhren zu ziehen. Er stellte fest, dass 80% mit der Spitze, 11% mit dem Mittelteil und 9% mit dem Blattstiel zuerst eingezogen wurden, d.h. die Würmer wählten aus, wie die Blätter einzuziehen waren. – Lernen durch Erfahrung, Versuch und Irrtum oder Instinkt? – Nun gab Darwin ihnen kein einheimisches Blattmaterial zu fressen, sondern für Regenwürmer fremde Rhododendronblätter: Die Prozentzahlen drehten sich gerade um. 73% der Fremdblätter wurden mit dem Blattstiel und 27% mit der Spitze eingezogen, aber keines mit dem Mittelteil. Darwin schloss daraus, dass Regenwürmer auf einer «Versuchs- und Irrtums-Basis» arbeiten, was eine gewisse Intelligenz vermuten lässt“ (BUCH 1986, S. 23/24). DARWIN (1983, S. 54) selbst zog aus seinen Versuchen folgende Schlussfolgerung: „Wenn die Würmer das Vermögen haben, irgendeine, wenn auch noch so rohe Vorstellung von der Gestalt eines Gegenstandes und ihrer Höhlen zu erlangen, wie es der Fall zu sein scheint, so verdienen sie intelligent genannt zu werden; denn sie handeln dann in nahezu derselben Art und Weise, wie ein Mensch unter ähnlichen Bedingungen handeln würde.“ Dieser Einschätzung folgen wir heute nicht mehr: „Ausgestattet mit einem nur sehr winzigen Gehirn – eigentlich nur ein dicker Nervenknoten – müssen wir Regenwürmern eine Intelligenz in unserem Sinne absprechen. Trotzdem zeichnet sich der Regenwurm durch ein gewisses Lernvermögen aus. Nur lässt sich bis heute nicht eindeutig festlegen, ob dies durch kombinierende Intelligenz oder allein durch Instinkt zustande kommt“ (BUCH 1986, S. 23). Auch hinsichtlich des Lernvermögens von Regenwürmern lässt sich – trotz zahlreicher Versuche, die zum Teil in Quälereien ausarten – keine eindeutige Aussage machen (vgl. MEINHARDT 1986, S. 32-34).
BUCH, W. (1986): Der Regenwurm im Garten. Stuttgart: Ulmer. |