PROJEKT HYPERSOIL     Pfad: https://hypersoil.uni-muenster.de/2/01/01.htm
Modul: Boden & Unterricht
 Kapitel: Didaktische Legitimation
Seitentitel: Umweltbildung

Umweltbildung1 als „Zukunftsaufgabe” (BMBW 1991) und „unverzichtbares Element moderner Allgemeinbildung”(BMBW 1991, S.41) ist seit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz zu „Umwelt und Unterricht” 1980 nicht nur für den schulischen Bereich als Bildungsauftrag hinreichend legitimiert worden. Obwohl ihre gesellschaftliche, umwelt- und bildungspolitische Relevanz weithin akzeptiert wird, ist die Umweltbildungspraxis im schulischen wie außerschulischen Bereich sowohl quantitativ als auch qualitativ hinter den programmatischen Ansprüchen der 70er und 80er Jahre zurückgeblieben.

So wurden in den letzten 20 Jahren nur sporadisch umweltbildungsrelevante Inhalte in den Bildungskanon einzelner Fächer aufgenommen und Fächer mit explizitem Natur- und Umweltbezug wie Sachunterricht in der Primarstufe oder Biologie und Geographie in der Sekundarstufe entwickelten sich zu sogenannten Zentrierungsfächern für Umweltbildung. Aber auch in diesen Fächern ist der Umweltbildungsanspruch bis heute nicht adäquat curricular verankert (vgl. HELLBERG-RODE 1993) und Umweltbildung hat auch in diesen Fächern ihr „exotisches Flair” (de HAAN et al. 1997, S.166) nicht verloren.

Die punktuelle Thematisierung von Umweltthemen im Unterricht genügt den inhaltlichen Anforderungen der Umweltbildung, wie sie schon in den 70er Jahren formuliert worden sind (vgl. u.a. EULEFELD & KAPUNE 1979), ebenso wenig wie die bisherige Praxis, Umweltbildung primär auf naturwissenschaftlich-technische Phänomene und Problemlösungen zu beschränken. Schon in der Anfangsphase der internationalen Umweltbildungsbewegung wurde gefordert, dass von Umwelt als Ganzheit ausgegangen werden muss, also von den natürlichen ebenso wie von den anthropogen geschaffenen Bedingungen. Entsprechend wurde Umweltbildung definiert „…als eine Erziehung in der Auseinandersetzung mit der natürlichen, sozialen und gebauten Umwelt mit dem Ziel, die Bereitschaft und Kompetenz zum Handeln unter ökologischen Gesetzmäßigkeiten zu entwickeln” (EULEFELD 1979, S.36).

Weder dieser Anspruch noch die bildungs- und umweltpolitisch geforderte Intensivierung und curriculare Verankerung von Umweltbildung in der Schule (vgl. u.a. de HAAN et al. 1997, S. 161 ff.) ist bis heute eingelöst worden. Seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro (s. Agenda 21) wird der Diskurs um eine notwendige Intensivierung und Modernisierung von Umweltbildung zunehmend von der Leitidee der »nachhaltigen Entwicklung«2 geprägt (vgl. u.a. BEYER 1998). „Mit der Vision eines Sustainable Development ist eine Herausforderung an die Umweltbildung entstanden, die letztere zu einem Paradigmenwechsel herausfordert.[...] Das traditionelle Paradigma der Umweltbildung hatte eine zerstörte, geschädigte und/oder bedrohte Umwelt als Basis aller Erkenntnis und Handlungsofferten. [...] Für das neue Paradigma ist die zerstörte, gefährdete oder bedrohte Umwelt nur ein - wenn auch wesentlicher - Teilbereich der Gesamtprojektes Sustainable Development … ”(de HAAN 1998, S. 38).

Aus dem Nachhaltigkeitsethos3 und der expliziten Forderung nach Neuausrichtung der Bildung am Konzept nachhaltiger Entwicklung (s. BMU o.J., S. 216) lassen sich auf der Grundlage der Agenda 21 politisch verpflichtende Durchsetzungsansprüche für eine wirksame Reorganisation und nachhaltige Implementation von Umweltbildung in der Schule ableiten. So wird in der Studie „Nachhaltiges Deutschland” die Ausgestaltung der „ …Umweltbildung zu einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung…” eingefordert, in der „ökologisches Problembewusstsein” entwickelt werden soll, das der Vernetzung ökologischer Probleme mit ökonomischen und sozialen Fragen gerecht wird (UBA 1997, S. 316). Und im Orientierungsrahmen „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung” (s. Bildung für nachhaltige Entwicklung) avanciert Umweltbildung als „ökologische und politische Bildung” zu einer „...Spezialdisziplin im Kontext einer neuen Bildungskonzeption” (BLK 1998, S. 22).

Unter dem Anspruch „Umweltbildung als Innovation” (de HAAN et al. 1997) sind nicht nur die bisherigen Bildungsziele und -inhalte traditioneller Umweltbildung einer kritischen Reflexion zu unterziehen, sondern auch ihre geringe curriculare Verankerung wie didaktische Akzeptanz in der Unterrichtspraxis. Mit einer programmatischen Neuorientierung von Umweltbildung im Kontext nachhaltiger Entwicklung, die als „...integraler Bestandteil aller Bildungsinitiativen” (DEUTSCHER BUNDESTAG 1998, S. 377) eingefordert wird, ergeben sich deutliche Konsequenzen für die Umweltbildungspraxis.

Dazu gehört z.B. die inhaltliche Ausweitung der Themenfelder auf Bereiche der gebauten und sozialen Umwelt, die Vermittlung grundlegender ökologischer Schlüsselqualifikationen, eine verstärkte Thematisierung von solchen Umweltverhaltensbereichen, die eine nachhaltige Entwicklung besonders stark beeinflussen, und eine entsprechende Reflexion auf die Motive für umweltgerechtes Verhalten. Erforderlich ist aber auch eine nachhaltige Ökologisierung der Bildungsinstitutionen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die inhaltliche Arbeit, sondern auch im Hinblick auf die Organisationsstrukturen dieser Institutionen (vgl. de HAAN et al. 1997, S. 177 ff.). Unter dem Votum einer stärker kulturellen Orientierung kann Umweltbildung nicht (mehr) primär auf Bewusstseins- und Verhaltensänderungen abzielen, sondern muss stärker auf die Entwicklung spezifischer Handlungs- und Gestaltungskompetenzen fokussiert werden. Insgesamt gesehen könnte Umweltbildung so - flankiert durch entsprechende bildungspolitische Maßnahmen - einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten (vgl. dazu GÄRTNER & HELLBERG-RODE 2001).

Aus der Leitidee «Nachhaltige Entwicklung» lassen sich relativ einheitliche Prämissen für eine Grundorientierung der Umweltbildung (vgl. u.a. MAYER 1995, 1998; MICHELSEN 1994, 1998) gewinnen, die den Prinzipien «Retinität», «Globalität» und «Intergenerationalität» (vgl. dazu im einzelnen MAYER 1995, S. 33 f.;s. Agenda 21) Rechnung tragen und die ökologische Dimension nachhaltiger Entwicklung mit der ökonomischen und sozialen vernetzten. Schließlich lassen sich auf der Grundlage aktueller Studien zur nachhaltigen Entwicklung (vgl. u.a. SCHMIDT-BLEEK 1994; van DIEREN 1995; BUND/ MISEREOR 1996;
v. WEIZSÄCKER/ LOVINS/ LOVINS 1997; UBA 1998) neue umweltbildungsrelevante Themenfelder identifizieren.

Einen weiteren Impuls erhält die Diskussion um eine wirksame Reorganisation und Implementation schulischer Umweltbildung aus der von W. KLAFKI (1985) ausgelösten Allgemeinbildungsdebatte und seiner Forderung nach Orientierung der Auswahl von Bildungsinhalten an „epochaltypischen Schlüsselproblemen” (s. Epochaltypische Schlüsselprobleme). Ein solches Problemfeld ist die Umweltfrage. Und hier schließt sich der Kreis insofern, als schon zu Beginn der 90er Jahre Umweltbildung als „Teil zeitgerechter Allgemeinbildung” (BMBW 1991, S. 4) eingefordert wurde. In der schulischen Bildungspraxis haben aber bisher weder die Allgemeinbildungsdebatte, noch die Umweltbildungs- und Nachhaltigkeitsdebatte, die beide letztendlich auf eine umfassende Revision der Curriculuminhalte hinauslaufen, gravierende Auswirkungen gezeigt.

Hier soll nun das neu aufgelegte ”BLK-Programm 21: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung” (BLK 1999) greifen (s. Bildung für nachhaltige Entwicklung ).

Weitere Informationen:

  • Agenda 21
  • Bildung für nachhaltige Entwicklung
  • Epochaltypische Schlüsselprobleme
  • Ökologische Grundbildung


Literatur

BEYER, A. ( Hrsg.) (1998): Nachhaltigkeit und Umweltbildung. Hamburg: Krämer.
BLK (1998): Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Hrsg.): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung - Orientierungsrahmen. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung Heft 69. Bonn.
BLK (1999): Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (Hrsg.): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Gutachten zum Programm von G. de Haan und D. Harenberg, FU Berlin. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung Heft 72. Bonn.
BMBW (1991): Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.): Zukunftsaufgabe Umweltbildung. Reihe
Bildung-Wissenschaft-Aktuell 3/1991. Bonn.
BMU (o.J.): Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Umweltpolitik. Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro - Dokumente - Agenda 21. Bonn.
BUND/ MISEREOR (Hrsg.) (1996): Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Basel; Boston; Berlin: Birkhäuser.
DEUTSCHER BUNDESTAG - Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.) (1998): Konzept Nachhaltigkeit. Vom Leitbild zur Umsetzung. Abschlußbericht der Enquete-Kommission ”schutz des Menschen und der Umwelt - Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung” des 13. Deutschen Bundestages. Bonn.
DIEREN, W. van (Hrsg.) (1995): Mit der Natur rechnen. Der neue Club-of-Rome-Bericht: Vom Bruttosozialprodukt zum Ökosozialprodukt. Basel; Boston; Berlin: Birkhäuser.
EULEFELD, G. (1979): Didaktische Leitlinien zur Umwelterziehung in der Bundesrepublik Deutschland. In: Eulefeld, G./ Kapune T. (Hrsg.): Empfehlungen und Arbeitsdokumente zur Umwelterziehung - München 1979. IPN-Arbeitsberichte 36. Kiel: IPN, 33-44.
EULEFELD, G. & KAPUNE, T. (Hrsg.) (1979): Empfehlungen und Arbeitsdokumente zur Umwelterziehung - München 1979. IPN-Arbeitsberichte 36. Kiel: IPN.
HAAN, G. de (1998): Umweltbildung im Kontext Allgemeiner Erziehungswissenschaft. In: Gärtner, H. (Hrsg.): Umweltpädagogik in Studium und Lehre. Hamburg: Krämer, 33-63.
HAAN, G. de/ JUNGK, D./ KUTT, K./ MICHELSEN, G./ NITSCHKE, C./ SCHNURPEL, U./ SEYBOLD, H. (1997): Umweltbildung als Innovation. Bilanzierungen und Empfehlungen zu Modellversuchen und Forschungsvorhaben. Heidelberg: Springer.
HELLBERG-RODE, G. (1993): Umwelterziehung im Sach- und Biologieunterricht. Münster; New York: Waxmann.
GÄRTNER, H. & HELLBERG-RODE, G. (2001): Umweltbildung und Gestaltungskompetenz für nachhaltige Entwicklung. In: Gärtner, H. & Hellberg-Rode, G. (Hrsg.): Umweltbildung und nachhaltige Entwicklung. Band 1: Grundlagen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 7-29.
KLAFKI, W. (1985): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik: zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. Weinheim; Basel: Beltz.
MAYER, J. (1995): Nachhaltige Entwicklung - ein Leitbild zur Neuorientierung der Umwelterziehung? DGU-Nachrichten 12, 31-43.
MAYER, J. (1998): Die Rolle der Umweltbildung im Leitbild nachhaltiger Entwicklung. In: Beyer, A. (Hrsg.): Nachhaltigkeit und Umweltbildung. Hamburg: Krämer, 25-49.
MICHELSEN, G. (1994): Umweltbildung. Umgang mit dem Leitbild dauerhaft-umweltgerechter Entwicklung. In: Rat der Sachverständigen für Umweltfragen (Hrsg.): Umweltgutachten 1994. Stuttgart: Metzler-Pöschel.
MICHELSEN, G. (1998): Ökologisierung der Lehrerausbildung. In: Gärtner, H. (Hrsg.): Umweltpädagogik in Studium und Lehre. Hamburg: Krämer, 355-368.
RSU (1994): Rat der Sachverständigen für Umweltfragen (Hrsg.): Umweltgutachten 1994. Deutscher Bundestag - Drucksache 12/ 6995. Bonn (veröffentlicht bei: Metzler-Poeschel, Stuttgart 1994).
SCHMIDT-BLEEK, F. (1994): Wieviel Umwelt braucht der Mensch? MIPS - Das Maß für ökologisches Wirtschaften. Basel; Berlin; Boston: Birkhäuser.
UBA: Umweltbundesamt (1998): Nachhaltiges Deutschland. Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten Entwicklung. 2. Auflage. Berlin: E. Schmidt.
WEIZSÄCKER, E.U. von/ LOVINS, A. B./ LOVINS, L.H. (1997): Faktor vier. Doppelter Wohlstand - halbierter Naturverbrauch. Der neue Bericht an den Club-of-Rome. München: Droemer Knaur

 


1 Für den schulischen Bereich war es lange Zeit üblich, den Begriff „Umwelterziehung” zu benutzen. Mittlerweile hat sich auch hier der Begriff „Umweltbildung” durchgesetzt. Die Übersetzung des Begriffes „environmental education” lässt beide Optionen zu und wir verwenden die Begriffe synonym.

2 Mit der unserer Auffassung nach nicht ganz zutreffenden Übersetzung von „sustainable development” als „nachhaltigen Entwicklung” beugen wir uns dem gängigen Sprachgebrauch.

3 „In diesem sogennanten «Sustainability-Ethos» geht es darum, die ökonomische und soziale Entwicklung des Menschen mit ökosystemaren Mechanismen der Natur und ihren Eigenschaften dauerhaft in Einklang zu bringen. Das Schlüsselprinzip dieses umweltethischen Ansatzes ist das der «Retinität» ...., mit dem die Gesamtvernetzung der Kulturwelt mit der Natur gekennzeichnet wird.”
(RSU 1994, S.404)