Nachhaltige Entwicklung bzw. «sustainable
development» als umweltethischer Imperativ
(MAYER 1995, S. 33) des globalen umwelt- und entwicklungspolitischen
Handlungsprogrammes AGENDA 21 (s. BMU o.J., 1996, 1998; s.
Agenda 21) ist ohne nachhaltige Korrekturen im Bildungsbereich
nicht zu erreichen. So wird im Kapitel 36 der Agenda 21 explizit
die Neuausrichtung der Bildung auf eine nachhaltige
Entwicklung gefordert und als ... unerlässliche
Voraussetzung für die Förderung einer nachhaltigen
Entwicklung und die Verbesserung der Fähigkeit der Menschen,
sich mit Umwelt- und Entwicklungsfragen auseinanderzusetzen
gesehen. (BMU o.J., S. 261).
Aus dem Nachhaltigkeitsethos1
und der expliziten Forderung nach Neuausrichtung der Bildung
am Konzept nachhaltiger Entwicklung (s. BMU o.J., S. 216)
lassen sich auf der Grundlage der Agenda 21 politisch verpflichtende
Durchsetzungsansprüche für eine wirksame Reorganisation
und nachhaltige Verankerung von Umweltbildung (s. Umweltbildung)
in der Schule ableiten. So wird in der Studie «Nachhaltiges
Deutschland» die Ausgestaltung der ...Umweltbildung
zu einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung...
eingefordert, in der ökologisches Problembewusstsein
entwickelt werden soll, das der Vernetzung ökologischer
Probleme mit ökonomischen und sozialen Fragen gerecht
wird (UBA 1997, S. 316). Und im Orientierungsrahmen «Bildung
für eine nachhaltige Entwicklung» avanciert Umweltbildung
als ökologische und politische Bildung zu
einer ...Spezialdisziplin im Kontext einer neuen Bildungskonzeption
(BLK 1998, S. 22).
Hier soll nun das neu aufgelegte BLK-Programm
21 «Bildung für eine
nachhaltige Entwicklung» (BLK 1999) greifen,
um schulische Bildungsprozesse am Konzept der Nachhaltigkeit
zu orientieren. Als zentrales Bildungsziel gilt der Erwerb
von Gestaltungskompetenz für nachhaltige Entwicklung
. Damit wird, ...in Abgrenzung zur moralisch aufgeladenen
Erziehung zu umweltgerechtem Verhalten, das Konzept einer
eigenständigen Urteilsbildung mitsamt der Fähigkeit
zum innovativen Handeln im Feld nachhaltiger Entwicklung ins
Zentrum gestellt (BLK 1999, S. 61). Gestaltungskompetenz
bezieht sich auf die Fähigkeit, die Zukunft der Gemeinschaft,
in der man lebt, aktiv im Sinne nachhaltiger Entwicklung modellieren
und mitgestalten zu können.
Der angestrebte Bildungsprozess soll sich
dabei über drei grundlegende Unterrichts- und Organisationsprinzipien
vollziehen, die in die schulische Regelpraxis integriert werden
können und Verknüpfungsmöglichkeiten mit allgemeinen
Tendenzen innovativer Schulbildung ermöglichen:
«Interdisziplinäres Wissen» (Modul 1),
«Partizipatives Lernen» (Modul 2) und «Innovative
Strukturen»
(Modul 3) . An der Bearbeitung der in diesen Modulen
ausgewiesenen Aspekte (s. Abb.; vgl. dazu ausführlich
BLK 1999, S. 59 ff.) im Hinblick auf ihre inhaltliche Konkretisierung
für die Schulpraxis sind zur Zeit 160 Schulen in 14 Bundesländern
beteiligt (s. www.blk21.de)
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Unterrichts- und Organisationsprinzipien
des BLK-Förderprogramms «Bildung für eine
nachhaltige Entwicklung»
(nach BLK 1999, S. 67 ff.) |
Die grundlegenden Unterrichts- und Organisationsprinzipien
dieses Bildungsprogramms zur Förderung von «Gestaltungskompetenz
für nachhaltige Entwicklung» werden folgendermaßen
konkretisiert:
Modul 1: Interdisziplinäres Wissen
Interdisziplinäres Wissen und Kompetenz
zu vernetztem Denken werden allgemein als Grundvoraussetzung
für Bildungsprozesse im Kontext des Leitbildes Nachhaltige
Entwicklung (vgl. u.a. RSU 1994, 1996) gefordert. Interdisziplinarität
bezieht sich dabei nicht primär auf eine additive Problembearbeitung
im Wissenschaftsverbund, sondern vielmehr auf die Pluralisierung
von Wahrnehmungs- und Problemverarbeitungsmechanismen
(BLK 1999, S. 107 ff.), also auf eine mehrperspektivische
Erschließung von Umweltproblemen und -situationen aus
unterschiedlichen Wissensfeldern und lebensweltlichen Erfahrungsbereichen
heraus.
Für den Umgang mit komplexen Umweltproblemen
im Sinne nachhaltiger Entwicklung forderte der Rat von Sachverständigen
für Umweltfragen (RSU 1994, S. 164 ff.) schon zu Beginn
der 90er Jahre ein Verstehen des Retinitätsprinzipes
ein, das sich sowohl auf die Vernetzung innerhalb von Ökosystemen
als auch auf die Vernetzung zwischen ökologischen, ökonomischen
und sozialen Systemen bezieht. Wesentliche Faktoren für
einen am Schlüsselprinzip Retinität
orientierten und auf die Entwicklung von Kompetenz zu interdisziplinärem
Denken und Handeln in der Umweltfrage gerichteten Bildungsprozesses
sind Kognition (Wissen und Erkenntnis), Reflexion (prüfendes
und vergleichendes Nachdenken), Antizipation (vorausschauendes
Denken) und Partizipation (aktive Beteiligung).
Modul 2: Partizipatives Lernen
Partizipation bedeutet Teilhabe und Beteiligung.
Partizipative Lernformen und -methoden binden die Lernenden
aktiv in den Unterrichtsprozess ein. Durch fächerübergreifende
Lernarrangements, praxis- und problembezogene Projektarbeit,
selbstgesteuerte Lernformen, Gruppenarbeit und mediengestützes
Lernen sollen u.a. Fähigkeiten zur Planung, Kommunikation,
Kooperation, kritischen Reflexion, Risikowahrnehmung und -bewertung
gefördert werden. Dabei spielt das gemeinschaftliche
Agieren eine besondere Rolle, das durch die Beteiligung der
Schülerinnen und Schüler an lokalen Agenda-Prozessen
eine konkrete Perspektive erfahren kann.
Modul 3: Innovative Strukturen
Die vielfältigen Aspekte im Kontext
innovativer Strukturen lassen sich auf zwei Felder konzentrieren:
Umgestaltung der Schule als Einrichtung, die sich der Leitidee
nachhaltiger Entwicklung verpflichtet weiß (z.B. Schulprofil,
Organisation des Schulalltags, Nachhaltigkeitsaudit) und Aufbau
neuer Kommunikations- und Kooperationsstrukturen mit dem Schulumfeld
und externen Partnern (z.B. Schülerfirmen zum fairen
Handel, Arbeitsgemeinschaften im lokalen Agenda-Prozess).
Im Rahmen der Schulentwicklung spielt hier
vor allem die Öffnung der Schule - im Kontext partizipativer
Unterrichts- und Lernkultur, Lebensweltbezug und Lernen vor
Ort - eine zentrale Rolle. Hier sollte die Einbeziehung der
konkreten Erfahrungs- und Handlungsfelder der Schülerinnen
und Schüler, die Arbeit an außerschulischen Lernorten
und die projektbezogene Kooperation mit Institutionen des
Schulumfeldes besonders gefördert werden und die Möglichkeit
genutzt werden, lokale Themen mit globalen Fragen zu vernetzen.
weitere Informationen:
Literatur
BLK (1998): Bund-Länder-Kommission
für Bildungsplanung und Forschungsförderung
(Hrsg.): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung
- Orientierungsrahmen. Materialien zur Bildungsplanung
und Forschungsförderung Heft 69. Bonn. |
BLK (1999): Bund-Länder-Kommission
für Bildungsplanung und Forschungsförderung
(Hrsg.): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung.
Gutachten zum Programm von G. de Haan und D. Harenberg,
FU Berlin. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung
Heft 72. Bonn. |
BMU (o.J.): Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.):
Umweltpolitik. Konferenz der Vereinten Nationen für
Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro
- Dokumente - Agenda 21. Bonn. |
BMU (1996): Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.):
Schritte zu einer nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung:
Umweltziele und Handlungsschwerpunkte in Deutschland.
Bonn. |
BMU (1997): Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.):
Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland.
Bericht der Bundesregierung anlässlich der UN-Sondergeneralversammlung
über Umwelt und Entwicklung 1997 in New York. Bonn. |
MAYER, J. (1995): Nachhaltige
Entwicklung - ein Leitbild zur Neuorientierung der Umwelterziehung?
DGU-Nachrichten 12, S. 31-43. |
RSU (1994): Rat der Sachverständigen
für Umweltfragen (Hrsg.): Umweltgutachten 1994. Deutscher
Bundestag - Drucksache 12/ 6995. Bonn (veröffentlicht
bei: Metzler-Poeschel, Stuttgart 1994). |
RSU (1996): Rat der Sachverständigen
für Umweltfragen (Hrsg.): Umweltgutachten 1996. Deutscher
Bundestag - Drucksache 13/ 4108. Bonn (veröffentlicht
bei: Metzler-Poeschel, Stuttgart 1996). |
UBA: Umweltbundesamt (1998):
Nachhaltiges Deutschland. Wege zu einer dauerhaft umweltgerechten
Entwicklung. 2. Auflage. Berlin: E. Schmidt. |
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In diesem sogennanten «Sustainability-Ethos»
geht es darum, die ökonomische und soziale Entwicklung
des Menschen mit ökosystemaren Mechanismen der Natur
und ihren Eigenschaften dauerhaft in Einklang zu bringen.
Das Schlüsselprinzip dieses umweltethischen Ansatzes
ist das der «Retinität» ...., mit dem die
Gesamtvernetzung der Kulturwelt mit der Natur gekennzeichnet
wird.
(RSU 1994, S.404)
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