Mit den Erträgen der Konstruktivismus-Debatte
für die Unterrichtspraxis (s. Konstruktivistische
Lerntheorien) - insbesondere für den Sachunterricht
- haben sich Klaus KLEIN und Ulrich OETTINGER (s. KLEIN /
OETTINGER 2000 und OETTINGER / KLEIN 2001) intensiv auseinandergesetzt.
Danach lässt sich konstruktivistisch
orientierte Didaktik konkret auf folgende Formeln bringen
(s. OETTINGER / KLEIN 2001, S. 11):
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Sie ist praxisorientiert,
d.h. sie bezieht stets konkrete Handlungen in den Lernprozess
mit ein. |
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Sie ist lebenswelt-
und alltagsorientiert, d.h. das Kriterium der "Nützlichkeit"
ersetzt das der "Wahrheit". |
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Sie ist vielseitig
und muss auf die Lernbedürfnisse eines jeden Einzelnen
eingehen, die sich verändern können. |
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Sie akzentuiert
Kommunikationsprozesse als wesentliche Bestandteile
des Lernprozesses. |
Für die Unterrichtspraxis sind dementsprechend
u.a. variable Unterrichtsformen, Lernen in authentischen Situationen
vor Ort, Problemorientierung, handelnder Umgang und Medienvielfalt
zentrale Anforderungen (s. OETTINGER/ KLEIN 2001, S.12).
Das Themenfeld "Boden" erweist
sich für solche mehrperspektivisch angelegten, konstruktivistisch
orientierten Unterrichtsprozesse besonders geeignet: es integriert
verschiedene Sachaspekte aus unterschiedlichen Wissensdomänen,
besitzt ausgeprägte Bezüge zur konkreten Lebenswirklichkeit,
erschließt sich leicht der unmittelbaren Begegnung und
ist geeignet, ein echtes Interesse der Lernenden zu wecken
(s. Didaktische Relevanz).
OETTINGER & KLEIN (2001, S. 19) bewerten
das Themenfeld "Boden" im konstruktivistischen Kontext
wie folgt:
"Der Mensch hat zum Boden einen sehr existentiellen,
ja archaischen Bezug. Eine Behandlung des Themas im Unterricht
kann daher sehr leicht affektive und nicht zuletzt psychomotorische
Aspekte einbeziehen, ein wesentlicher Anspruch einer konstruktivistischen
Didaktik.
Das Unmittelbare des Themas empfiehlt dieses gerade einem
konstruktivistischen Zugang. Lernen kann beim Boden mehr als
bei vielen anderen Themen des Sachunterrichts multidimensional
erfolgen, und in ihrer Lebenswelt machen die Lernenden sehr
grundsätzliche Erfahrungen mit "Boden", die
ganz "natürlich" Fragen nach sich ziehen, die
im Unterricht behandelt werden können - besser: zu denen
der Unterricht einander konkurrierende Konstruktionen bereithalten
und anbieten kann, die die Lernenden ihrerseits zu angemessener
Konstruktionstätigkeit auf verschiedenen Ebenen animiert.
Im Kontext von "Sachunterricht konstruktivistisch be-greifen"
nimmt "Boden be-greifen" eine besondere Stellung
ein. Boden kann be-griffen werden, "Lernen mit allen
Sinnen" als Stichwort ist nicht erst im Zusammenhang
mit Konstruktivismus zentraler Anspruch moderner Didaktik:
Boden wird makroskopisch und mikroskopisch, ökologisch
und ökonomisch, chemisch und biologisch, geologisch und
physikalisch begriffen."
Wie sich dieser Anspruch unterrichtlich umsetzen lässt,
skizzieren KLEIN & OETTINGER (2000, S. 174/175) übersichtsartig
in ihrem Buch "Konstruktivismus - die neue Perspektive
für den (Sach-)Unterricht". Ergänzend dazu
entwickelte M. PRECHTL (2001, S. 20-72) einen umfassend ausgearbeiteten
Unterrichtsvorschlag für den Sachunterricht, der aber
auch im Biologie- oder Geographieunterrichts der Sekundarstufe
eingesetzt werden könnte.
Im ersten Teil (S. 24-50) werden hier verschiedene
grundlegende Sachinformationen zum Themenkomplex "Boden"
angeboten:
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Erster Eindruck vom Boden (Definition,
Bodenbildungsprozesse, Zusammensetzung) |
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Aufbau und Struktur des Bodens (Bodenprofil,
Bodenarten, Bestandteile des Bodens, Humus, Tiere im Boden,
Bodenmineralien, Verwitterung) |
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Funktion und Nutzung des Bodens (
Boden als Mineralstoffspeicher, Bedeutung für die
Pflanzen, Düngung, Zeigerpflanzen) |
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Boden und Umwelt (exemplarisch für
das Problemfeld Bodenversauerung)
(vgl. dazu Einleitung
Boden-Informationen) |
In einem zweiten didaktischen Teil werden
verschiedene Versuche zu diesen Aspekten vorgestellt, z.B.
Fingerprobe, Schlämmprobe, Saugkraft des Bodens, Kalkgehalt,
Nährstoffnachweis, Wasserdurchlässigkeit, pH-Wert-Messung,
Zeigerpflanzen, Bodenlebewesen, Boden "spüren"
(s. PRECHTL 2001, S. 54-72;
vgl. dazu auch Bodenuntersuchungen
und Boden &
Unterricht).
Eine solche mehrperspektivische Erschließung
des Themenfeldes "Boden", das aufgrund seiner komplexen
Sachstruktur grundsätzlich nicht aus einer Fachperspektive
heraus zu erschließen ist, ist nicht neu (vgl. dazu
u.a. FALTERMEIER 1996, GREISENEGGER et al. 1991, HELLBERG-RODE
1997, OTTO 2001). Sie ist aber durchaus geeignet, Forderungen
aus dem aktuellen Diskurs der Konstruktivismus-Debatte in
den Fachdidaktiken umzusetzen, Anforderungen des BLK-Programms
zur "Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen
Unterrichts" Rechnung zu tragen und gleichzeitig auch
einen Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung
zu leisten.
Weitere Informationen:
Literatur:
FALTERMEIER, R. (1996): Lebensraum
Boden. Praktischer Unterricht Biologie. Stuttgart; München;
Düsseldorf; Leipzig: Klett. |
GREISENEGGER, I./ KATZMANN, W./
PITTER, K. (1991): Umweltspürnasen - Aktivbuch "Boden",
2. Auflage. Wien; München; Zürich: Orac. |
HELLBERG-RODE, G. (1997): Lebensraum
Boden. Relevanz und praktische Umsetzung im Biologieunterricht.
In: Vogt, H./ Sieger, M. (Hrsg.): Berichte des Institutes
für Didaktik der Biologie, IDB Münster 6, S.
71-88. |
KLEIN, K./ OETTINGER, U. (2000):
Konstruktivismus - Die neue Perspektive im (Sach-)Unterricht.
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. |
OETTINGER, U./ KLEIN, K. (2001):
Sachunterricht konstruktivistisch be-greifen, Band 1.
Baltmannsweiler: Scheider Verlag Hohengehren. |
OTTO, K.-H. (2001): Boden - die
geheimnisvolle Haut unserer Erde. In: Gärtner, H./
Hellberg-Rode, G. (Hrsg.): Umweltbildung & nachhaltige
Entwicklung, Band 2: Praxisbeispiele. Baltmannsweiler:
Schneider Verlag Hohengehren, S. 13-46. |
PRECHTL, M. (2001): Boden im
konstruktivistischen Kontext. In: Oettinger, U./ Klein,
K.: Sachunterricht konstruktivistisch begreifen, Band
1. Baltmannsweiler: Scheider Verlag Hohengehren, S. 19-72. |
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